Mit Rückblick meinen wir, auf Vergangenes, auf Fakten, mithin Unumstößliches zu schauen, während dem Vorblick auf Kommendes eine gewisse Unsicherheit und Unschärfe anhaftet.
Unsere Wahrnehmung wird bestimmt durch die Erfahrung der Vergangenheit, die so die Erfahrung von Zukunft prägt. Doch indem Gegenwart nichts anderes ist als fortwährend eingeholte Zukunft, prägt unsere Wahrnehmung, die nur gegenwärtig sein kann, auch die Sicht auf Zurückliegendes, vermeintlich Unumstößliches, und verändert es. Was wiederum unsere Wahrnehmung im Hier und jetzt verändert. So sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbunden, im Fluss, als Fluss.
Für mich der Film des zurückliegenden Jahres: „Sonne und Beton“. Er handelt in Neukölln, zeichnet ein realistisches Bild der psychosozialen Situation von Heranwachsenden zwischen Ghetto, Geldnot und Gewalterfahrung. Als jetzt diese Gegend zur böllerfreien Zone erklärt wurde, hatte ich die Jungs vor Augen, wie sie Stühle und Tische durch Klassenzimmer werfen und Gegenständen beim Fallen vom Balkon aus dem 10. Stock zusehen. Passanten springen erschrocken zur Seite. Gelächter oben; ein kostenfreies Vergnügen. Böllerverbot in Neukölln, das hat mir nun eine andere Bedeutung.
Als ich dann vorgestern in der Berliner Yorckstraße in einer DHL Filiale, die offenbar von einem jungen Mann mit nahöstlichen Wurzeln betrieben wurde, mit gemischten Gefühlen ein Paket von einigem Gewicht und Wert aufgab, erlebte ich Folgendes: Ein Mann, sicher ebenfalls einst eingewandert, betrat den Kiosk und fragte nach dem Sperrmüll vor der Tür. Ja klar, er dürfe die Sonnenschirme mitnehmen. Und er möge seine Telefonnummer hinterlassen, demnächst werde der Laden neu gestaltet, da fiele sicher noch mehr ab für ihn. Eine Hilfsbereitschaft unter Leuten unterschiedlicher Herkunft, verbunden durch eine kiezübergreifende Solidarität, und auf einmal kam mir das Neuköllner Kanakendeutsch nicht mehr nur als Ausdruck von Reduktion und Verrohung vor; es hatte einen warmen Beiklang.