Triggerwarnung

Ähnlich wie McDonalds, Halloween und Genderdebatte ist die sogenannte  Triggerwarnung ein Import aus den Staaten. McDonalds muss seit dem verlorenen Prozess gegen einen Kunden, der sich den Mund verbrannte, vor Kaffee warnen: Könnte heiß sein.

Ich stolperte im Kunstkontext dreimal darüber: In einer studentischen Ausstellung, wo ein Schild an einer Tür vor Gewalterfahrung warnte. Ich betrat den Raum und sah ein Interview mit einer Frau, die aus ihrem Leben erzählte, etwa wie sie von einer Mitschülerin geschlagen wurde.

Dann, als ich mich auf die Vorführung zweier Filme vorbereitete. Vor „Im Taxi mit Madeleine“ warnte eine Frau im Internet entsetzt mit einem als „Triggerwarnung“ überschriebenen Beitrag: Häusliche Gewalt gegen Kinder, sexuelle Gewalt gegen Frauen, das in einer französischen Komödie! Leider ist es bei Komödien so wie im richtigen Leben: Das Helle erkennen wir erst vor dunklem Grund.

Auch vorm deutschen Drama „Wann wird es endlich wieder so wie es nie war?“ wird gewarnt. Wer mal in der Psychiatrie war, könne bei diesem Film retraumatisiert werden… durch einen Film, der moderne offene Psychiatrie zeigt, mit Kindern, die psychiatrisch Kranke als Gesprächspartner auf Augenhöhe nehmen. Echt jetzt?

In einer Zeit, in der nicht wenige behaupten, wir alle seien traumatisiert, führen Triggerwarnungen in die Agonie: Allgegenwärtig etwa vor der Wiedergabe medialer Inhalte, kenne ich kaum einen Film, vor dem nicht gewarnt wird: Sex, Drogen, laute Musik.

Medien spiegeln Realität. Triggerwarnungen warnen vor Realitätserfahrung. Also Erfahrung.

Dabei deuten Metastudien zur Wirksamkeit der Triggerwarnung aufs Gegenteil: Sie schaden mehr als sie nutzen.

Für „Äkkilähtö“, einer finnischen Komödie (Donnerstag, 19 Uhr, finnische Originalfassung mit deutschen Untertiteln), spreche ich eine Empfehlung aus: Wer schon mal betrogen worden ist, darf hier ebenso entspannt Platz nehmen wie Reisende, deren Trip wg. leerem Akku in einer Sackgasse endete.

Was aber ist mit „All The Beauty And The Bloodshed?“ Die Doku bietet  Retraumatisierungschancen satt. Der Film über eine Fotografin und Aktivistin, die gegen Misstände westlicher Welten angeht, ist womöglich weniger  retraumatisierend als inspirierend. Oder gar heilend (Freitag, 19:30 Uhr).

Ich ahne, das Gegenkonzept zur heutigen Traumatherapie ist ästhetisch: das Konzept der Katharsis. Erlösung durch Konfrontation im inszenierten Raum, was nicht allein in der griechischen Tragödie begründet ist, sondern auch in ihrem Gegenteil. Also in aller Kunst.

Kunst bezweckt nicht Therapie. Hat sie aber zur Folge. Indem sie (ja, selbst die abstrakte) immer auch ein Spiegel von etwas ist, wirkt sie therapeutisch. Das Vermittelte des Spiegels, seine Wahrnehmung als solcher und urmenschliche Zutat, wirkt vermittelnd. Der Akt der Vermittlung, Inklusion von Gegensätzen, vom Alltag mit der Unbeschwertheit, vom Alter mit der Kindheit, vom Bösen mit dem Guten, vom Kaputten mit dem Heilen, vom Verletzten mit dem Unversehrten, von der Hölle mit dem Paradies, solche Inklusion ist das universale Prinzip funktioneller Traumatherapie, egal ob bewusst oder unbewusst serviert.

Selbst die beiden japanischen Zombiefilme (One/Final Cut Of The Dead, im Dorfkino Lögow im Double-Feature zu Halloween), bedürfen keiner Triggerwarnung. Es geht um geschnittene Tote. Sagt doch alles.