Unter Wölfen.

Geschichten aus Deutschlands kleinstem Kino.

Was tut man nach der Scheidung? Ich habe gehört, Frauen leiden still, lassen sich aber nichts anmerken. Von allen nicht vor den Kindern. Männer bauen Kinos. Nicht alle. Aber zumindest ein paar. Die Idee war, den Kindern, die bei der Mutter blieben oder, flügge, weiter weg wohnten, einen Grund zu geben, den Vater zu besuchen, dort, auf dem Land, wo es mehr Wölfe als Menschen gibt und die Kraniche kreisen. Zumindest einen besseren Grund, als ständig weltfremde Diskurse zu führen.

Weil sich herausstellte, dass der Bau eines Privatkinos kostenaufwendig ist, wäre, so dachte der Autor, die reine Privatnutzung nicht nachhaltig und eine Sünde am Planeten. So entstand das kleinste Kino Deutschlands.

Im Prinzip darf jeder, der Leinwand und Beamer im Wohnzimmer hat, behaupten, ein Kino zu haben. Aber das ist falsch. Es gibt drei Unterschiede zwischen Privatkino und Kino.

Erstens: Ein Privatkino ist privat. Ein Kino ist öffentlich. Das ändert die Sache grundlegend. Im Privatkino sehe ich, was ich, im Kino, was der Filmeigentümer will. Würde ich mir eine DVD schnappen und einfach Nostalghia von Tarkowski öffentlich zeigen, würde ich am nächsten Tag eine Klage am Hals haben. Für zahllose Filme gibt es oft keine Kino-Lizenzen mehr, zu alt, unter Verschluss gehalten für Verwertungen jenseits der großen Leinwand.

Zweitens: In einem Privatkino steht Privates rum. Etwa eine Blumenvase. In einem Kino steht nichts Privates rum. Alles ist fokussiert auf nur eine Sache: den Film. Insofern hat Kino viel zu tun mit dem Lagerfeuer unserer Vorfahren. Das war öffentlich, jeder konnte sich dazusetzen. Und es standen keine Blumenvasen rum.

Es gibt übrigens noch mehr Gemeinsamkeiten: Am Lagerfeuer werden Geschichten erzählt. Alle lauschen dem Erzähler und schauen dabei ins Feuer. Alles, was nicht zur Geschichte gehört, wird ausgeblendet, verliert sich in der Dunkelheit. Dort das Feuer, in das wir schauen und aus dem die Sätze des Erzählers kommen, hier der Projektor, das Licht wird von der Leinwand reflektiert, aus der Töne dringen.

Drittens: Privatkinos spielen nicht für Geld, Kinos aber sollten Gewinn machen. In der Hinsicht ist das Dorfkino Lögow ein Zwitter, denn es spielt keinen Gewinn ein, das ist bei 13 bis 16 Plätzen nicht möglich, das ist auf dem platten Land nicht möglich. Also ist es ein hobbymäßig betriebenes, professionelles Kino mit mehreren Vorführungen pro Woche.

Welche Geschichten bietet so ein Dorfkino zwischen Wölfen, in dem regelmäßig auch Nischenfilme gezeigt werden, die sonst nur in Berlin, Hamburg und Köln laufen, mit dem Ergebnis, dass der Vorführer manchmal allein vor der Leinwand sitzt und sich Gedanken macht, ob nun der Wolf zugeschlagen oder die Navigationstechnik versagt hat. Es sind Geschichten, die sich so nicht nur hier, in der Ostprignitz, entfalten können. Oder vielleicht doch nur hier. Geschichten von Leuten, die hier waren, Geschichten von Leuten, die nicht hier waren, Geschichten aus der Fülle, die die Leere bietet.

Und ja, die Kinder kommen. Manchmal auch wegen des Kinos.

*Das Gewebe der Leinwand ist in der Regel schalldurchlässig, hier im Dorfkino verbirgt sich dahinter eine THX-Wand mit ausrangierten JBL-Lautsprechern, aus einem Kino aus Berlin-Adlershof. Drei kühlschrankgroße Subwoofer passen nur liegend unter die Leinwand. Der Punch der Kanonenschläge aus „Master and Commander“ schmerzt nicht nur in den Ohren. Wichtiger aber als jede Technik ist die Phantasie. Wie am Lagerfeuer.