So wie das echte Leben hat jede Romanze in Film, Funk und Fernsehen drei Akte. Im ersten Akt kommt es zum ersten Kuss, dann geht alles schief. Untreue, Missverständnisse, Verrat, Rivalen, andere Mächte.
In der Mitte des zweiten Akts ändert sich was. Der Held steht auf. Er ist nicht mehr reaktiv. Er wird aktiv. Er wandelt sich vom Opfer zum Tatmenschen. Er übernimmt Verantwortung für sein Unglück. Oder sein Glück. Egal. Er übernimmt's einfach.
Das führt nicht zum Erfolg. Im Gegenteil. Das Ende des zweiten Aktes ist gekennzeichnet durch totale Niederlage. Im Drama ist es der Tod des Helden, im der Romanze der Verlust des anderen.
Der letzte große Umschwung, die Wiederauferstehung, das Wiederfinden, das ist der letzte Akt. Das Finale. Dann kommt nur noch eins: Das Happy End.
Damit der Verlust des Anderen - der Liebe - als maximal schmerzhaft erfahren wird, benötigen wir die Erfahrung des Gegenteils, die perfekte Erfahrung von Liebe.
Die perfekte Erfahrung der Liebe ist ein wesentliches Element im zweiten Akt, nach dem Wendepunkt in der Mitte, vor der Katastrophe. Wir erfahren das Idyll.
Es gibt schöne Beispiele dafür in zwei romantischen Serien auf Netflix, "Weihnachten zu Hause", und "Love" vom mir ach so geliebten Judd Apatow. 2. Staffel, 5 Folge: Man kann die Folge nicht sehen ohne die 14 Episoden davor, diese Qual ist der Preis fürs Glück, dieser apart wiederkehrende Wechsel von Apathie, Wahrheit und Betäubung. 14 Folgen. 14.
Plötzlich aber sind wir angekommen. 2. Staffel, 5. Folge. Das Idyll, ein weißer ruhiger Fleck inmitten des Alltäglichen, dieses anstrengenden Dauerwechsels von Raum und Zeit.
Yes, die Zeit steht still, der Raum bleibt. Händchenhalten, Sachen machen, Ursache und Wirkung außer Kraft setzen, Flanieren, Rennen, Flüchten, sich gegenseitig Retten, Rächen, Fangen lassen, Ausbrechen, Einkaufen, Essen. Wolken gucken. Und so.
Wir kennen das aus unserem Leben. Das war die Zeit, bevor die Kinder kamen. Ein Urlaub an Portugals Steilküste. Nacktbaden unter Katholiken. Käse und Rotwein geklaut. Eine Nacht auf der Polizeiwache. Einfach nur schneller gerannt. So halt.
Das endet. Der Sentimentalist in uns denkt an das stillstehende Idyll. Der Erwachsene will meist nur, dass alles weiter funktioniert. Doch dieser seltsam weiße, stillstehende, idyllische Fleck unseres Daseins, der in eine Flaschenpost abgefüllt gehört, um durch die Weltmeere treibend uns ab und zu anzuschwappen, dieser Fleck scheint unerreichbar und ist doch so nah. Als Perspektive ist er das Wesentliche fürs Funktionieren jeder Romanze, im Film wie im Leben.
Verglichen mit dem Ende, dem Kuss am Altar, dem Ja-Wort, der Silhouette des Paars vor dem roten Ball der untergehenden Supernova, verglichen damit ist der Paradiestag, der weiße Fleck in der zweiten Hälfte des zweiten Aktes, genau das, was er ist: viel erstrebenswerter. Eine Zeit ohne Zeit, ohne Ende, ohne Anfang, ein Dahintreiben in glückseliger Blödheit, Tage reiner Absichtslosigkeit, selbst das Begehren verliert sein Drängen und die Fritten schmecken nach ... schmecken wie ... schmecken besser. Weil alles besser ist mit (ihr/ihm).
Na, was ist dagegen ein Happy End? Dieses Ende, das wir alle kennen, von dem wir wissen, es ist der Anfang von etwas, was allzu oft schlechter wird; der Beginn der Realität.
Das Idyll dagegen ist irreal. Und wenn wir im Leben diese zweite Chance haben, wenn wir sie uns geben, dann haben wir die Chance, das Irreale real zu machen, indem wir die Zeit anhalten, eine Weile, und uns förderhin der Höchstgeschwindigkeit verweigern. Welch Verheißung. Ab sofort: Schrittgeschwindigkeit.