Den meisten wird es nicht aufgefallen sein: Vor Jahren begrüßte der Autor des Dorfkino-Lögow-Newsletters die Leser mit "Liebe Dorfkino-Fans". Seit geraumer Zeit gibt es keine Anrede mehr. Dies ist keine Unhöflichkeit, sondern Pragmatismus. Auslöser war die Beschwerde einer Leserin: Sie fühle sich nicht angesprochen.
Ich konnte das anfangs gar nicht glauben, verfasste eine launige Replik, ob sie denn sitzen bliebe, wenn jemand riefe, Feuer, alle Mann raus. Meine Blödelei kam nicht gut an - obwohl ich doch nur eine Methode der feministischen Sprachwissenschaft verwendete, nämlich den sogenannten genderlinguistischen Assoziationstest.
Die Leserin, so erwiderte sie, fühle sich in solchen Fällen NICHT angesprochen, nur mitgemeint.
Insgeheim fragte ich mich, ob es einen Unterschied mache, gerettet oder "nur mitgerettet" zu werden, Hauptsache Überleben. Sprich: Ob es den Gegenstand dieser Differenzierung überhaupt gibt: Meint "da bin ich angesprochen" nicht dasselbe wie "da bin ich gemeint"? Und ist "da bin ich gemeint" nicht dasselbe wie "da bin ich mitgemeint"?
Zwar gibt es "mitgemeint" eigentlich nicht, doch gäbe es das Wort, wäre damit immer noch keine Herabsetzung verbunden. Hier kommt das Wort "nur" ins Spiel und der Verdacht auf, dass es eben nicht sprachimmanent ist, was gemeint ist, sondern erziehungsbedingt. Wer Dinge so wahrnimmt, dass er nicht gemeint, sondern "nur" mitgemeint ist, zieht dies möglicherweise also nicht aus der Sprache, sondern aus einem selbstgeschaffenen Kontext. Erst die Wendung "nur mitgemeint" löst sozusagen das Störungsprotokoll aus.
In der Schule, ich erinnere mich, sollten wir vor allem eines lernen: Den Unterschied zwischen Behauptung und Beweis. Dieser Unterschied ist der methodische Hebel der Aufklärung, diese Unterscheidung die Grundlage für die Möglichkeit einer gerechten Gesellschaft.
Wo Behauptung und Beweis nicht unterschieden sind, hat der Gerechte keine Möglichkeit mehr, Konsens durch Diskurs herzustellen. Argumente, richtige, gültige, sind die Voraussetzung für gerechte Systeme, schiere Behauptungen, fake news, der Nährboden für ungerechte. Demokratie braucht Argumente, dem Faschismus reichen Behauptungen.
Immer mehr öffentliche Stimmen (Medien, Behörden, Politiker) gendern, immer häufiger höre ich, das sei eine moralische, gar ethische Frage: Wer anständig ist, gendert.
Doch wer das behauptet, sollte diese These gut begründen.
Zugespitzt lautet die These der Befürworter der gendergerechten Sprache: Das "generische Maskulinum" ist nicht geschlechtsneutral. Mit "Dorfkino-Fans" seien also vorzugsweise Männer gemeint. Ist das so?
Ich habe zwar ein paar Semester Sprachwissenschaft studiert, aber es hat gute Gründe, warum ich lieber in die Praxis gegangen bin. Da gibt es bessere und klügere Sprachforscher als mich. Doch soweit ich das überblicke, gab es bisher kein sprachwissenschaftlich fundiertes Werk, das höheren Ansprüchen genügte, um die Frage nach dem generischen Maskulinum so zu beantworten, wie es der Anspruch des Themas fordert: Es geht schließlich um so etwas Wichtiges wie Demokratie versus Faschismus. Es geht also um alles: Setzt sich das Argument oder die Behauptung durch?
Wo sind also die Belege, dass Grammatik Sein konstruiert? In der bisherigen Literatur habe ich sie nicht gefunden. Behauptungen ja, Beweise nein.
Inzwischen aber gibt es so ein Werk, das den Namen "Standardwerk zum Thema" verdient hat und Beweise liefert.
Mit dieser Wertung stehe ich nicht allein, das ist auch die Meinung vieler anderer, die aus Leidenschaft (Dilettanten) oder professionell (Journalisten, Schriftsteller, Wissenschaftler) mit Sprache arbeiten. Auch den Mitgemeinten sei es ans Herz gelegt, sich dieses Standardwerk zu beschaffen, denn, wie gesagt, es geht um alles: "Studien zum genderneutralen Maskulinum" von Eckhard Meinke, veröffentlicht Anfang des Jahres 2023.
In diesem Werk wird genau hingesehen: Was ist belegt und bewiesen, was schiere Behauptung.
Mit ein wenig Vorbildung ist das Werk ganz gut zu lesen, der Klappentext ist schwieriger als viele Seiten im Buch. Dennoch werden die meisten diese Lektüre meiden, und sei es, weil sie befürchten, ihr Weltbild könnte Schaden nehmen.
Denn das Fazit ist eindeutig: Genderlinguisten verbreiten wider besseres Wissen Halb- und Unwahrheiten, um die „geschlechtergerechte“ Sprache und ihre halbstaatlich und medial betriebene Durchsetzung im öffentlichen Sprachgebrauch zu legitimieren.
Begründungen? Ohne Ende auf 358 Seiten. Wen es interessiert, für den zitiere ich hier eine zusammenfassende Rezension der FAZ (Grund: es ist die ausführlichste und formuliert besser als ich es könnte), und hier scheinen mir bereits eine Handvoll jener zahllosen Argumente des Werks genannt, die feministische Sprachwissenschaftler bislang vermissen lassen oder falsch wiedergeben.
Wer sich also überzeugen möchte, wie klar die Widerlegung der feministischen/genderlinguistischen Forschung gelingt, möge das Original lesen und meinetwegen mir und dieser Zusammenfassung hier misstrauen:
"Was vor mehr als vier Jahrzehnten als Protest gegen „Deutsch als Männersprache“ begann, präsentiert sich heute als „gendergerechter Sprachgebrauch“. Der argumentative Kern der Aktivitäten ist indes immer gleich geblieben: Es ist der Kampf gegen das generische Maskulinum durch die Leugnung seiner Geschlechtsneutralität. In Ausdrücke wie „Wähler“ oder „Arbeitnehmer“ ist nach Überzeugung der Genderlinguisten und ihrer Anhänger in Politik und Verwaltungen die Männlichkeit tief eingeschrieben. Sie streiten ab, dass die Bedeutung dieser Wörter in Formulierungen wie „Einkommensverluste der Arbeitnehmer“ oder „alle Wähler sollten ihr Stimmrecht nutzen“ nur die Rolle der Personen umfasst, aber ihr Geschlecht außen vor lässt.
Das generische Maskulinum gilt als Mogelpackung des Patriarchats, hinter der sich eine Wortform verbirgt, mit der Frauen und andere Geschlechtsidentitäten bestenfalls am Rande „mitgemeint“ werden. Der Sprachhistoriker Eckhard Meineke – bis zu seiner Emeritierung Professor an der Universität Jena – hat in einer faktengesättigten Studie die Thesen und sprachlichen Eingriffe der Genderlinguistik und die ihnen zugrunde liegenden Argumentationsstrategien untersucht. Das Buch basiert auf einer umfassenden Kenntnis der relevanten Literatur, was angesichts der mittlerweile enormen Zahl wissenschaftlicher Arbeiten und publizistischer Stellungnahmen keine Selbstverständlichkeit ist. Der Autor nimmt die linguistischen, philosophischen und sprachpolitischen Aspekte gleichermaßen in den Blick, er verfolgt die Entwicklung des Genus zurück bis ins Indogermanische und die Geschichte des Genderns bis in seine Anfänge in den Siebzigerjahren.
An dessen Wiege stand neben den Gründungsmüttern der „feministischen Linguistik“ und linksalternativen Journalisten auch das sozialdemokratisch geführte Bundesbildungsministerium, das 1979 die Beidnennung der Geschlechter in den Berufsausbildungsordnungen einführte. Das Urteil über Theorie und Praxis des Genderns, zu dem Meineke gelangt, ist eindeutig: Genderlinguisten verbreiten wider besseres Wissen Halb- und Unwahrheiten, um die „geschlechtergerechte“ Sprache und ihre halbstaatlich und medial betriebene Durchsetzung im öffentlichen Sprachgebrauch zu legitimieren. In einem schlichten Konstruktivismus befangen, sehen sie die Grammatik als Motor der Weltverbesserung.
Am Beginn der Darstellung stehen nicht die generischen Maskulina, sondern Ausdrücke wie „Mensch“, „Person“ oder „Mitglied“. Auch diese sogenannten Epikoina sind, unabhängig von ihrem Genus, geschlechtsneutral. Allerdings gibt es für sie keine femininen Ableitungen – außer im Germanistenverband, der 2011 ein Rundschreiben an seine „Mitgliederinnen und Mitglieder“ schickte, oder im Online-Duden, der neuerdings die „Menschin“ verzeichnet, weil diese abseitige Gelegenheitsbildung ins genderpolitische Schema passt.
Im unveränderlichen Genus der Epikoina liegt der entscheidende Unterschied zu Personenbezeichnungen wie „Arbeiter“ oder „Patient“, die als „generische Maskulina“ bekannt und zum Stein des Anstoßes geworden sind. Meineke meidet allerdings diesen Begriff und spricht stattdessen vom „geschlechtsübergreifenden“ oder „sexusneutralen Maskulinum“. Das ist keine terminologische Spitzfindigkeit, sondern führt ins Zentrum der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen: „Generisch“ bezeichnet genau genommen keine feststehende Eigenschaft, sondern nur den fallweisen Gebrauch von Wörtern in einem allgemeinen gegenüber einem spezifischen Sinn: Wenn „die Schule wegen Sanierungsarbeiten geschlossen wird“, geht es um ein bestimmtes Gebäude, wenn „die Schule morgen wieder beginnt“ um die Gesamtheit aller Schulen in einer Region.
In diesem Sinne können auch feminine Substantive, die von Maskulina abgeleitet sind, generisch gebraucht werden: „Soldatinnen sind in der Bundeswehr keine Besonderheit mehr“. Der Begriff „generisch“ veranlasst deshalb Genderlinguisten zu der These, auch beim geschlechtsneutralen Maskulinum handele es sich nur um einen fakultativen, zudem historisch jungen Sprachgebrauch, bei dem willkürlich ein Teil – die Männer – für die Gesamtheit der Geschlechter gesetzt werde. Meineke hält dagegen: Bei den geschlechtsneutralen Maskulina geht es nicht nur um einen punktuellen Gebrauch, sondern um Eigenschaften, die den Wörtern selbst innewohnen und seit zwölfhundert Jahren Teil des deutschen Sprachsystems sind.
Zugrunde liegt eine semantische und grammatische Asymmetrie zwischen Maskulinum und Femininum: „Arbeiter“ ist in seiner Grundbedeutung sexusneutral und wird dort verwendet, wo es auf die Geschlechtszugehörigkeit nicht ankommt. Erst die Endung -in verleiht dem Mitglied der Arbeiterklasse ein Geschlechtsmerkmal und unterscheidet so die „Arbeiterin“ von ihrem männlichen Pendant: Ist zugleich von „Arbeiterinnen“ die Rede, schrumpfen die „Arbeiter“ zur Männergruppe. Das Allgemeinmenschliche am geschlechtsübergreifenden Maskulinum macht einen Satz wie „Frauen sind die besseren Polizisten“ sinnvoll im Gegensatz zu „Frauen sind die besseren Polizistinnen“.
Für das weibliche Geschlecht stehen mithin zwei Genera – ein allgemeines und ein spezifisches – zur Verfügung; Männer müssen sich mit einem Genus begnügen, das in seiner spezifischen Bedeutung nur sie und in seiner allgemeinen auch sie bezeichnet. Diese Verhältnisse spiegeln sich in der Wortform: „Arbeiterin“ ist durch die Endung gegenüber „Arbeiter“ „markiert“, nämlich komplexer und spezifischer. Deshalb können solche femininen Substantive auch keine geschlechtsübergreifende Funktion übernehmen im Gegensatz zur „Person“, die zwar auch ein Femininum, aber grammatisch nicht abgeleitet ist.
Derartige Asymmetrien finden sich auch anderswo. So ist das Präsens gegenüber den anderen Tempora unmarkiert, denn es kann Gegenwart (Er kocht gerade das Essen), Zukunft (Übermorgen kocht er das Essen) oder auch Zeitlosigkeit (Wasser kocht bei hundert Grad) bezeichnen. Ein anderes Beispiel liefert der „Tag“. In seiner allgemeinen Bedeutung bezeichnet das Wort die Zeitspanne der Erdumdrehung, in seiner spezifischen aber nur den Zeitraum, in dem es hell ist.
Die Opposition markierter und unmarkierter Formen gibt es in ganz unterschiedlichen Sprachen von der lautlichen Ebene bis zum Satzbau, wie die Linguisten Nikolai Trubetzkoy und Roman Jakobson bereits vor über neunzig Jahren herausfanden. Dass die Genderlinguistik diese Erkenntnisse ignoriert oder als irrelevant abtut, sieht Meineke als den Kernpunkt einer ideologisch motivierten Strategie. Sie ziele darauf ab, den genderneutralen Maskulina ihren sprachsystematischen Charakter abzusprechen, um sie zum Ausdruck männerdominierten Sprachgebrauchs erklären und politisch aufladen zu können. Auch gegen den Versuch, in das Neutrum und das Femininum anhand von Personenbezeichnungen wie „Weib“ oder „Memme“ eine gegenüber dem Maskulinum abwertende Bedeutung als Ausdruck „der alten Geschlechterordnung“ hineinzuinterpretieren, führt Meineke stichhaltige Argumente ein.
Großen Raum im Buch nimmt die genderlinguistische Berufung auf Assoziationstests ein, deren Ergebnisse belegen sollen, dass geschlechtsübergreifende Maskulina im Kopf der Hörer und Leser vornehmlich Bilder männlicher Personen erzeugen. Meineke bestreitet nicht, dass es solche Assoziationen gibt. Er sieht sie aber wesentlich beschränkt auf Personenbezeichnungen, die sich – vor allem im Singular – auf konkrete Individuen beziehen. Für den öffentlichen Sprachgebrauch viel wichtiger sind Substantive wie „Bürger“, „Wähler“, „Verbraucher“, die Gruppen von Menschen als Träger allgemeiner Tätigkeiten, Funktionen und sozialer Rollen erfassen. Bei ihnen tritt keine maskuline Schlagseite auf, sie rufen in der Regel gar keine inneren Bilder von konkreten, geschlechtlich gekennzeichneten Menschen hervor.
Meineke kritisiert zurecht, dass viele Tests diese Unterscheidungen nicht deutlich genug machen, sondern stattdessen maskuline Formen in Kontexte stellen, in denen sie typischerweise nicht sexusneutral verwendet werden, sodass geschlechtsspezifische Interpretationen programmiert sind. Hinzu kommt die mangelnde Repräsentativität vieler Probandengruppen und eine häufig zutage tretende Pro-Gender-Tendenz der Studienleiter.
Fraglich ist auch, welche Bedeutung für die reale Alltagskommunikation solche in künstlichen Laborsituationen erzeugten Assoziationen, die unterhalb der kognitiven Ebene des Sprechens und Verstehens angesiedelt sind, überhaupt haben. Die vergleichsweise wenigen Verständlichkeitstests zeigen, dass das genderneutrale Maskulinum keineswegs zu Fehlinterpretationen führt. Was Meineke nicht erwähnt, sind andererseits die Verständnisprobleme, die gegenderte Texte für Deutschlerner und Leichte-Sprache-Leser mit sich bringen.
Dass die Genderbefürworter künstlich ausgelöste Assoziationen statt des realen Sprachgebrauchs und Sprachbewusstseins der Sprecher in den Fokus stellen, liegt nicht nur an der Erwünschtheit der Ergebnisse. Es passt für Meineke auch zum dort gepflegten Bild der Sprachgemeinschaft als einer geistig trägen Masse von Laien, der eine aufgeklärte Elite den Weg in die Verbalgerechtigkeit weisen muss. Die Parallele zum Geist der Orthographiereform zieht der Autor nicht, sie liegt aber nahe.
Meinekes Werk glänzt immer wieder mit pointierten Formulierungen, aber leichtgängig ist die Lektüre nicht. Die Darstellung ist fachlich anspruchsvoll und verlangt dem linguistisch nicht vorgebildeten Leser einiges ab. Zu hoffen ist jedenfalls, dass viele Germanisten das Buch lesen werden. Auch die Genderfreunde unter ihnen sollten hier Fakten und Argumente finden, die ihnen Anlass zum Nachdenken geben.
Eckhard Meineke: „Studien zum genderneutralen Maskulinum“. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2023. 358 S., geb., 36,– €."
Mein Fazit:
Ich war mir fast sicher, ich bin eigentlich ein schlechter, ungerechter Mensch, weil ich nicht genderte, weder im Newsletter noch sonstwo, und war einigermaßen zufrieden damit, frei nach gewissen Ästheten des 19. Jahrhunderts (Wilde etc.). Es war also nicht das schlechte Gewissen, sondern die Neugier, wie weit Forschung und Wahrheit inzwischen auseinander driften. Zu meiner Freude hat Meineke sie wieder zusammengeführt. Führe ich demnächst also die nunmehr wissenschaftlich geläuterte Anrede wieder ein? Nein. Ist einfach schöner so, wie es jetzt ist und immer sein wird.