In seinem Werk La pensée sauvage (Das wilde Denken) kontrastiert Lévi-Strauss den planend-rationalen Ingenieur mit dem improvisierenden Bricoleur, der das Gegebene kreativ mixt, das Zufällige antizipiert und dabei ebenso entspannt wie selbstbewusst auf seine Fähigkeit der Kombination und auch wilderen Improvisationen vertraut. Die ist die Voraussetzung für die Fähigkeit, eine Geschichte zu erfinden und zu erzählen.
Dabei unterliegen manche einem Irrtum: Der Plot (die Handlung) sei sowas wie das Skelett der Geschichte, während die Charaktere das Drumherum sind (Fleisch, Muskeln). Wäre es so, wären Ingenieure die besten Autoren.
Aber es ist nicht so. Plot ist diffus. Hängt an jedem Charakter, in jedem Charakterzug, in jeder Szene, jedem Wort, jedem Plotpoint.
Wir merken, wenn etwas nicht organisch ist, wenn ein Plot nicht stimmig ist. Wir merken es. Können es aber nicht erklären. Denn Plot ist nicht Skelett. Es ist ein unsichtbarer Wirkfaktor, der alles durchwirkt und umschwebt, was mit Story (Geschichte) überhaupt zu tun hat. Vieleicht ist Plot wie eine Welle (Radiowelle). Oder eine quantische Häufung. Am ehesten wohl wie Elektromagnetismus.
Plot stellen wir uns nun vor als das Prinzip, die wirkende Kraft zwischen Charakteren und all den anderen Bestandteilen von Story. Sie sind wie elektromagnetisch geladene Teile. Die sich anziehen, die sich abstoßen. Schauen Sie sich Filme an, lesen sie Geschichten, bei denen man in der Magengrube inneren Widerstand spürt. Das passiert. Das sind aber die Stellen, wo zwei Plus-Teilchen zusammengepresst werden sollen, weil der Autor das so möchte, weil es ihm den Tag leicht macht und Kalorien spart, aber gegen den Willen der Teilchen, die sich eigentlich abstoßen. Dieser Autor ist ein Möchtegern.
Der wahre Autor erspürt anhand seiner Charaktere die elektromagnetischen Kräfte. Entwickelt daraus den Plot, der, elektomagnetisch wirkend, auf die Charaktere wirkt (oder umgekehrt) und auf jeden Fall so hin und her bis in alle Ewigkeit.
Anbei: "Bis in alle Ewigkeit" meint die Stelle in der Geschichte, dem Märchen, dem Buch, dem Film, wo das Papier zu Ende, das Filmmaterial verbraucht, die Geduld der Kostenträger überstrapaziert ist. Es meint die Stelle, die mit "The End" etikettiert ist. Jedes Storyende ist kein Ende, nur der Beginn der Ewigkeit.
Plot ist die Kraft der Story auf ihrer kleinsten, kaum mehr teilbaren Ebene, die atomare oder meinetwegen quantisch-quarkige Kraft, die Ereignisse, Aktionen, Bilder, Leute und Ort anzieht und auf magische Weise plausibel macht (auch wenn sie noch so unplausibel ist). Denn wer das Prinzip der Anziehung respektiert, vermählt Mann und Frau, Jin und Jang. Pat und Patachong. Und denkt Skelett und Muskel zusammen, überzieht es mit der Haut der Unwirklichkeit, der anderen Seite der Wirklichkeit, zu einem Ganzen, das sich der Teilbarkeit, der Analyse entzieht. Womit wir eine schöne Definition von Kunstwerk haben.